Dieser Text war ein Beitrag zur Weinrallye #101: „Herzensweine“ zu dem ich einen sehr persönlichen Text schrieb in dessen Mittelpunkt der „Gris de Toul“ eines befreundeten Winzers steht.
Ursprünglich wurde dieser Beitrag auf einem anderen Blog veröffentlicht, das inzwischen geschlossen wurde. Daher veröffentliche ich diesen Text nun hier.
Das damals die Weinrallye ausrichtende Blog war „drunkenmonday“.
Herzensweine
Es gibt solche Phasen im Leben, da schlägt Murphy unerbittlich zu, da fühlt es sich an, als wenn sich das Universum für jedes schöne und positive Erlebnis mit mindestens drei furchtbaren Erlebnissen rächen will – als ob es sagen will: Genieß die guten Stunden umso mehr, denn bald schon wird es anders kommen!
So eine Phase scheint in meinem Umfeld gerade Einzug zu halten.
Wir feiern viel, wir feiern gerne und eigentlich sind wir alle eher gut gelaunte Menschen, die das Schöne und das Positive sehen, aber dann gibt es solche Phasen …
Und deshalb ist es so wichtig sich an die glücklichen, an die fröhlichen Stunden zu erinnern:
Eine solch glückliche und frohe Zeit hatten wir alle gemeinsam auf dem letzten Frankreichfest in Düsseldorf und wie es bei uns auch nicht anders sein kann, gehörte ein Wein dazu und dann auch noch ein Wein aus meiner Herzensgegend, aus Lothringen.
Dieser Wein ist also gleich doppelt ein Herzensweine, denn er erinnert mich an den letzten wirklich glücklichen und unbelasteten Abend, den wir alle miteinander erlebt haben, den Abend bevor einer unserer Freunde überfallen und schwer verletzt wurde, der letzte gemeinsame Abend bevor die Mutter eines anderen Freundes bei einem Autounfall ums Leben kam, der letzte Abend, an dem wir alle noch an so etwas wie unsere eigene Unverletzlichkeit glauben konnten und schlichtweg das Leben gefeiert haben.
L’art de vivre eben, da sind wir alle, auch wenn wir nicht alle Franzosen sind, doch Franzosen in der Seele und eigentlich war es eher purer Zufall, dass uns genau dieser Wein dabei Gesellschaft leistete und zu feierlichen Höchstleistungen anspornte. Der Zufall ergab sich dadurch, dass in jedem Jahr eine andere französische Region Partner des Düsseldorfer Frankreichfestes ist und in diesem Jahr war es Lothringen! Und wie nicht anders zu vermuten war auch einer der wenigen (insgesamt nur 33) lothringischen Winzer dabei. Ich kannte ihn bis dahin nur vom Hörensagen, hatte mal seine Website besucht, etwas über ihn gelesen, aber nie seine Weine getrunken. Als ich also las, dass er in Düsseldorf sei, war klar, dass ich dort hinmusste.
Beim Schlendern über den Markt sah ich seinen Stand und wollte eigentlich erst einmal weitergehen, als ich von Ferne gerufen wurde und nett angelächelt. Der nette Winzer winkte mich an seinen Stand, als hätte er meine Gedanken gelesen. Also ging ich hin und probierte seine Weißweine und den mitgebrachten Rosé und war wirklich begeistert. Vor allem der Gris de Toul hat es mir von vornherein angetan; ergo schleppte ich alle Freunde zu eben diesem Winzer und wir waren uns einig: Diese Weine waren genau richtig für uns. Sie waren an diesem Tag einfach unsere Herzensweine.
Herzenswein – Gris de Toul
Aber dieser Wein hat nicht nur diesen melancholischen Aspekt, sondern er ist auch ein Zeichen für Hoffnung, ein Zeichen dafür, dass Träume wahr werden können, wenn man nur daran glaubt und dafür kämpft, denn Weinbau gab es in Lothringen nicht mehr, die Reblaus hatte ihn auf dem Gewissen. Einige wenige unermüdliche Geister allerdings wollten diesen Traum vom Weinbau in Lothringen nicht aufgeben und kämpften dafür.
Zu diesen unermüdlichen Geistern zählte auch der Vater des bereits mehrfach erwähnten Winzers, dessen Name hier nun auch endlich einmal genannt werden sollte; es ist: David Lelièvre.
Diejenigen, die des Französischen mächtig sind werden jetzt gegebenenfalls kurz stutzen, lächeln und sich denken: Na kein Wunder, dass der wusste wo der Hase langläuft. All denen, deren Französisch ähnlich schlecht ist wie meins sei gesagt: lièvre heißt auf Französisch „Hase“ und so erklärt sich auch recht schnell das Etikett, das auf den Weinen Lelièvres zu sehen ist.
Gris de Toul und der Weinbau in Lothringen
Aber beginnen wir die Geschichte am Anfang: Dass es zwischenzeitlich keinen Weinbau mehr in Lothringen gab, hatte ich bereits erwähnt, da aber ein jeder wusste, dass es möglich war begannen vor einigen Jahrzehnten wieder ein paar Menschen Rebstöcke zu setzen und sie zu pflegen. Die paar wenigen Trauben, die man erntete nutzte man entweder für den Privatgebrauch oder verkaufte sie an eine Kellerei, bis … ja, bis im Jahr 1971 David Lelièvres Vater sich fragte warum er dies eigentlich tat und warum er nicht seine Trauben selbst zu Wein machen sollte, selbst abfüllen sollte und selbst vermarkten. – Eine zu diesem Zeitpunkt mutige Entscheidung, zumal Fachwissen rund um die Weinherstellung eigentlich fehlte. Also waren die drei Söhne gefragt: Roland, André und Jean-Marie. Sie gingen in die Champagne und in andere französische Weinregionen und lernten über Wein, was sie brauchten, um die ersten eigenen Tropfen erzeugen zu können. Die ersten Jahre waren schwer und es war gut, dass es neben den Weinbergen, die man hatte auch zahllose Mirabellenbäume gab, die deutlich mehr Geld einbrachten. [Nur zur Erklärung: Lothringen ist Mirabellenland: ca. 90 Prozent der weltweit erzeugten Mirabellen stammen aus Lothringen! Wer diese Früchte mag, sollte sich übrigens das alljährliche Mirabellenfest in Metz keinesfalls entgehen lassen.]
Die drei Söhne sind inzwischen auch schon mehr oder minder in den verdienten Ruhestand getreten und haben das Feld der neuen Generation überlassen: den Brüdern Vincent und David. Vincent ist der Pragmatiker der beiden, er kümmert sich um die Weinberge und die Kellerwirtschaft. David hingegen ist der Kommunikative und der Rechner, er kümmert sich um die Büroarbeit und um die Vermarktung der Hasenweine.
Inzwischen zählt das Weingut der Lelièvres mit 16 Hektar zu den größten in Lothringen, aber die Mirabellen sind nicht verschwunden, noch 5 Hektar sind mit ihnen bepflanzt und das wird auch so bleiben, denn die Mirabellen werden bis heute zu wunderbar fruchtigen Bränden, Likören und Säften verarbeitet, die die Produktpalette des Weinguts perfekt ergänzen, denn Rebsorten sind hier nicht viele erlaubt, um genau zu sein nur drei! Das sind Auxerrois [der übrigens tatsächlich aus Lothringen stammt], Pinot Noir und Gamay.
Der Gris de Toul – mein Herzenswein – ist leicht gekühlt ein wunderbarer Sommerwein. Und bevor ich jetzt hier anfange über den Gris de Toul zu schwärmen, lasse ich doch lieber den Winzer zu Wort kommen, lehne mich mit einem Gläschen Herzenswein sanft im Sessel zurück und erinnere mich an ein wunderbares Wochenende mit wunderbaren Menschen und vor allem an herrliche Gespräche mit Bill, dem Schwiegervater David Lelièvres.